29. Juni 2022
Àngel Ferrero und Bru Laín arbeiten für das Büro des Pilotprojekts zur Umsetzung eines Bedingungslosen Grundeinkommens in Katalonien. Dort wird das bedingungslose Grundeinkommen in einem Pilotprojekt mit 5.000 Bewohner*innen demnächst für zwei Jahre getestet. Mark Appoh aus dem Kampagnenbüro der Expedition hat die beiden zu den Motiven für den Modellversuch, die geplante Ausgestaltung und politische Perspektiven befragt.
Àngel Ferrero: Wir scherzen ab und zu, dass das Büro des Pilotprojekts zur Umsetzung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) in Katalonien einen langen Namen hat – aber dafür eine kurze Geschichte. Aber das Büro hat ja eine Hintergrundgeschichte. La Xarxa Renda Bàsica (das Netzwerk Grundeinkommen Kataloniens), Teil von BIEN (Basic Income European Network), wurde 2001 gegründet. Ohne ihre Arbeit wäre weder die Idee des BGE verbreitet worden, noch würde das Büro heute existieren.
Nach vielen Jahren Öffentlichkeitsarbeit wurden 2020 während der Pandemie in Katalonien viele Manifeste für ein BGE geschrieben. Einige politische Parteien haben als Ergebnis dieses sozialen Drucks für die Parlamentswahl in Katalonien im Februar 2021 das BGE in ihre Programme geschrieben.
Àngel Ferrero
Stärkste Kraft wurde bei dieser Wahl die Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) –Republikanische Linke Kataloniens–, die links der Mitte steht. Um die Stimmen der Candidatura d’Unitat Popular (CUP) –Kandidatur der Volkseinheit– für die Wahl des ERC-Kandidaten, zu bekommen, sind beide Parteien zu einer Vereinbarung gekommen. Unter anderem wurde ein Projektpilot fürs BGE eingeschlossen. Somit wurde das Büro geboren.
Bru Laín: Einerseits interessieren wir uns für die Auswirkungen eines Grundeinkommens auf Einzelpersonen und Haushalte. Reduziert es finanziellen Stress? Stärkt es die Autonomie und das wirtschaftliche Wohlergehen? Verbessert es die psychische und physische Gesundheit? Durch das Pilotprojekt erhoffen wir uns empirische Antworten auf diese Fragen.
Andererseits möchten wir zum Beispiel herausfinden, ob das Grundeinkommen die kollektive Dynamik begünstigt – etwa in bestimmten sozialen Gruppen, wie Frauen oder Jugendlichen, oder in bestimmten Bereichen, wie kulturellen Vereinen und sozialer oder politischer Beteiligung. Und wir untersuchen, inwieweit das Grundeinkommen die Nachfrage nach öffentlichen Dienstleistungen und Maßnahmen verändern kann, zum Beispiel Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsdienste. Das wirkt sich nämlich auch auf die interne Organisation und Arbeitsdynamik dieser öffentlichen Leistungen aus.
Bru Laín: Unser Pilotprojekt geht über zwei Jahre und umfasst insgesamt 5.000 Personen. Es besteht aus zwei verschiedenen Experimenten, die sich gegenseitig ergänzen. Zum einen führen wir einen randomisierten Kontrollversuch durch: 2.500 zufällig ausgewählte Menschen in ganz Katalonien erhalten das monatliche Grundeinkommen auf individueller und bedingungsloser Basis. Nach 24 Monaten werden die von diesen Personen gemeldeten Daten und Ergebnisse mit einer ähnlichen Stichprobe von Personen verglichen, die den Geldtransfer nicht erhalten.
Bru Laín
Zum anderen machen wir auch eine Sättigungsstudie in zwei Gemeinden mit rund 1.500 Personen. Alle Einwohner*innen dieser Gemeinden bekommen das monatliche Grundeinkommen auf individueller, bedingungsloser und universeller Basis.
In beiden Fällen gibt es keine Altersbeschränkungen für die Teilnahme. Wir schließen die reichsten 10 bis 15 % der Bevölkerung aber aus, um die Umverteilungs- und Steuereffekte eines echten Grundeinkommens bestmöglich zu replizieren. Die Beträge sind in beiden Fällen gleich: 800 Euro monatlich pro erwachsene*r Teilnehmer*in und 300 Euro monatlich für Menschen unter 18 Jahren.
Àngel Ferrero: Es ist natürlich eine Sache des politischen Willens, und es braucht auch sozialen Druck, zum Beispiel durch Gewerkschaften. In unserem Fall aber auch mehr Souveränität für Katalonien. Obwohl Katalonien kein unabhängiger, souveräner Staat und unser Spielraum begrenzt ist, erproben wir völlig neue Politikmodelle. Klar ist, dass heutige Maßnahmen wie das spanische Ingreso Mínimo Vital (IMV) – ähnlich zu Hartz-IV in Deutschland –, unzureichend sind.
Bru Laín: Genau. Ob unser Pilotprojekt letztendlich zur Einführung eines Grundeinkommens führen wird, wissen wir natürlich nicht. Aber über die rein statistischen Ergebnisse hinaus kann schon die Durchführung ein entscheidender Schritt sein. Der Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger, Sozialpartner und die Bevölkerung im Allgemeinen ist nicht zu unterschätzen. Es kann auch dazu beitragen, politische und soziale Koalitionen zugunsten des Grundeinkommens und ähnlicher Maßnahmen zu bilden – wie es in Ontario der Fall war, wo die Regierung das Pilotprojekt abrupt abgebrochen hat. Oder nehmen wir Schottland: Die reine Diskussion über ein BGE-Pilotprojekt hat die schottische Premierministerin Nicola Sturgeon zu der Aussage bewegt: Es ist an der Zeit, eine solche Politik umzusetzen.
Àngel Ferrero: Auf jeden Fall. Wir haben kein neoliberales Modell im Sinn, wie zum Beispiel Elon Musk. Wir verstehen das BGE als Teil einer breiten Strategie, um den Sozialstaat zu stärken. Dafür braucht es auch andere gezielte Maßnahmen, etwa in den Bereichen Wohnungsnot oder Gesundheit.
Bru Laín: Ich möchte ergänzen: Es braucht bestimmt auch die Stärkung der schulischen Ausbildung von Jugendlichen, Maßnahmen zur Verteidigung der Rechte der Frauen oder zur Förderung des lokalen Wirtschaftsgefüges und so weiter. Wir beschränken uns in unserem Ansatz aber rein auf den Einkommenstransfer, um nachzuvollziehen, was passieren würde, wenn es eine solche Politik wirklich gäbe.
Wichtig ist mir aber: Das Grundeinkommen ist nicht die einzige und unfehlbare Lösung für alle Probleme und Herausforderungen unserer Gesellschaft. Es ist nur ein Teil der Politik, kann aber dazu beitragen, Lösungen auf anderen Gebieten zu entwickeln. Denken wir an die Klimakrise, feministische Fragen, die Arbeitswelt, Digitalisierung oder Bildung. Ein Grundeinkommen kann der Bevölkerung ermöglichen, über alternative Lösungen und Antworten nachzudenken. Das wollen wir untersuchen.
Foto: Samuel Sweet