13. Mai 2022
PD Dr. Daniela Schiek ist Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg. Sie war 2021 Gastmitglied der Expert:innenrunde zur Vorbereitung der Forschung für den 7. Armuts- und Reichtumsbericht der deutschen Bundesregierung. Mark aus dem Team der Expedition Grundeinkommen hat mit ihr gesprochen.
Die meisten Sozialwissenschaftler*innen machen heute vor allem kulturelle Aspekte oder eine bestimmte Verhaltensdisposition dafür verantwortlich, dass Kinder von nicht-akademischen Eltern nicht gut aufsteigen können. Vielen fehlt aber schlicht und ergreifend das Geld, um bestimmte Laufbahnen zu finanzieren. Gerade solche, bei denen man länger auf höheres Einkommen warten muss.
PD Dr. Daniela Schiek, Soziologin an der Universität Hamburg
Das Bafög ist ja nur ein Beispiel für die staatliche Förderung akademischer Laufbahnen, wobei man ja auch außerhalb der Universität aufsteigen kann. Aber wer sich die Studien des Studierendenwerks oder die Sozialerhebungen anschaut, sieht, dass Bafög-Empfängerinnen und -Empfänger trotzdem oft nebenbei arbeiten müssen. Darunter leiden ihre Karrierechancen, weil zu wenig Zeit fürs Studium bleibt. Bafög scheint also oft schon vom Volumen her zu gering zu sein, trotz vieler Anhebungen in der Vergangenheit. Und: Bafög ist auch an bestimmte Leistungskriterien gebunden. Krankheiten und Pflegefälle in der Familie oder politisches Engagement sind da oft nur schwer zu argumentieren. Außerdem geht es ja auch um die Phasen im Anschluss an das Studium, in denen Vertragsbefristungen, karge Gehälter und unklare Perspektiven diejenigen ausmustern, die ohne Polster sind.
Es geht ja vor allem um die Zahl der Stunden, die jemand neben dem Studium arbeiten muss. Wie viel Zeit bleibt da manchen, um das Studium in der Regelstudienzeit erfolgreich abschließen zu können? Oft mag es nicht schaden, neben dem Studium schon einmal die Fühler in die Arbeitswelt auszustrecken. Aber auch hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Welche Jobs müssen manche Studierende machen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen? Geht es hier um einen schicken karriereförderlichen Zuverdienst oder muss ich „dirty jobs“ machen, um mir das Allernötigste (wie zum Beispiel Kleidung) zu kaufen?
Ich halte das Grundeinkommen für ein wichtiges Instrument, um Armut zu bekämpfen – aber auch um Ungleichheit abzumildern. Manche Menschen verfügen über eine Art “bürgerliche Gelassenheit”, weil sie zum Beispiel die Unterstützung ihrer Eltern hinter sich wissen. Ein Grundeinkommen würde diese Gelassenheit für viel mehr Menschen gewährleisten.
Zusätzlich glaube ich, dass wir mit einem Grundeinkommen die Benachteiligung von Frauen verringern und dass wir sie finanziell unabhängiger machen können. Wir wissen aus den Sozialwissenschaften, dass die ökonomische Abhängigkeit von Männern oder von Sozialhilfe nach wie vor ein Problem darstellt – Stichwort: Frauenarmut. Grundeinkommen kann also auch einen feministischen Aspekt haben.
Es sollte nicht an Familienverhältnisse gebunden sein. Und die Höhe ist natürlich wichtig: Ein echtes Grundeinkommen müsste schon über das Existenzminimum hinausgehen. Wenn wir in Deutschland übers Existenzminimum sprechen, sind damit oft normative Fragen verbunden, wie zum Beispiel “Wie legitim finde ich es, bestimmte Lebensweisen oder das Leben bestimmter Personen zu finanzieren?” Menschen, die Hartz IV bekommen, wird nur eine gewisse Existenz zugestanden. Da schwingen immer Bewertungen darüber mit, warum ein Mensch nicht arbeitet oder auf fremdes Geld angewiesen ist.
Die genaue Höhe müsste empirisch geklärt werden, aber ich finde schon, dass wir hier deutlich über die Hartz IV-Sätze hinausgehen müssen. Ein echtes Grundeinkommen darf keine zweite Sozialhilfe sein. Und: Vermutlich wird damit auch eine Umverteilung verbunden sein, das bedeutet: Menschen mit sehr hohen Einkommen oder Vermögen müssten wir wohl stärker als heute in die Pflicht nehmen.
Ich bin überzeugt davon, dass Modellversuche spannende empirische Erkenntnisse liefern können. Außerdem erhöhen solche Projekte die Akzeptanz eines Grundeinkommens und tragen dazu bei, politische Reformen vorzubereiten. Interessieren würde mich vor allem die notwendige Höhe, um Ungleichheit zu abzumildern – wobei sich wahrscheinlich erst nach Jahren in Lebensverläufen einschätzen lässt, ob wir dadurch tatsächlich mehr Chancengleichheit bekommen.
Ich denke, die Chancen stehen heute besser als noch vor zum Beispiel zehn Jahren, gerade angesichts der politischen Stimmung und Konstellation. Die Gelegenheit ist auch günstiger, weil wir alle die vielen Corona-Hilfen vor Augen haben, die in der Krise mit der Gießkanne verteilt werden mussten. Stattdessen könnte sich ein Grundeinkommensmodell durchsetzen. Denn wir haben ja gesehen: Dass die Existenz an Arbeit und den Markt gebunden wird, funktioniert zum Beispiel nicht während einer Pandemie.