23. Juli 2022
Arbeitsminister Heil hat die Koalitionspläne zum Bürgergeld präsentiert, das ab 2023 Hartz IV ablösen soll. In die Debatte um die laut Heil “größte Sozialreform seit 20 Jahren” mischt Finanzminister Lindner den Begriff “bedingungsloses Grundeinkommen”. Da muss ein Missverständnis vorliegen. Versuch einer Aufklärung.
Kaum hatte Heil seine Pläne vorgestellt, kamen Widerworte aus der eigenen Koalition. Wenig überraschend: von der FDP. Lindner kritisiert die Pläne seines Kollegen, beim Bürgergeld die Regelsätze anders berechnen zu wollen oder Sanktionen abzumildern. Im Zentrum seiner Ausführungen steht der Satz „Das Bürgergeld soll eine Aktivierung sein und kein bedingungsloses Grundeinkommen.“
Längst hat das Netzwerk Grundeinkommen definiert, was unter einem bedingungslosen Grundeinkommen zu verstehen ist, und so wird dieser Begriff heute auch allgemein verstanden:
“Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Einkommen für alle Menschen,
Schauen wir uns anhand dieser Definition an, ob Lindners Sorgen berechtigt sind:
Sehen Heils Pläne wirklich ein bedingungsloses Grundeinkommen vor?
Ein richtiger Schritt, aber keinesfalls ein bedingungsloses Grundeinkommen
Halten wir also fest: Mit dem Bürgergeld macht die Koalition sicher einen richtigen Schritt; es kommt daher wie eine Art Hartz IV mit neuem Namen, in etwas freundlicherem Gewand und mit vielen kleinen Reformen, die das Leben der betroffenen Menschen erleichtern dürften. Von einem bedingungslosen Grundeinkommen kann aber wie gezeigt keinesfalls die Rede sein. Keines der vier Kriterien für ein BGE ist beim Bürgergeld erfüllt.
Diese Klärung ist wichtig und offenbar notwendig, wenn führende Regierungspolitiker*innen Begriffe in die Diskussion mischen, die mit dem strittigen Vorhaben nichts zu tun haben — aus welchen Motiven auch immer. Zwei Möglichkeiten sind im konkreten Fall denkbar: Erstens: Lindner weiß es nicht besser — was ziemlich ernüchternd wäre und auszuschließen ist. Zweitens: Er setzt diesen Begriff ganz bewusst ein, um die eigene Klientel bei Laune zu halten — was Millionen Menschen nicht nur vor den Kopf stößt, sondern die alte Faulheitsdebatte ohne Not wieder anheizt. Worte haben Folgen, und wer sich einmal die Kommentarspalten eines beliebigen Presseartikels zu Hartz IV, Sanktionen oder bedingungslosem Grundeinkommen ansieht, weiß, dass sie verfangen haben. Wie sollten sie es auch nicht, nach 20 Jahren Hartz IV und einer endlosen Reihe von Politiker-“Bonmots” — von “spätrömischer Dekadenz”, “kollektiven Freizeitparks” oder einem vermeintlichen “Recht auf Faulheit”, das in Deutschland nicht existiere?
Zu erklären, warum es sich beim Bürgergeld (nach allem, was wir heute wissen) selbst bei der Abschaffung von Sanktionen und einer Anhebung der Regelsätze längst nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen handelt, ist also kein abgehobener akademischer Reflex. Zumal im Diskurs ums BGE immer wieder Schlagworte wie “Geld fürs Nichtstun”, “Hängematte” oder eben die immer gleichen stigmatisierenden und heillos abgedroschenen Hartz-IV-Empfänger-Klischees auftauchen, die vielen Menschen das Leben noch schwerer machen.
Abgesehen davon: Natürlich ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung an der Überwindung von Hartz IV arbeitet. Wie die Erleichterungen für Millionen von Menschen am Ende heißen, dürfte ihnen selbst am Ende herzlich egal sein. Für viele von ihnen geht es ums Überleben.